Personalbemessung und die Tücken der Einigungsstelle zu Fragen der Gefährdungsbeurteilung

Besprechung der Entscheidung des BAG vom 17.12.2021 unter dem Aktenzeichen 1 ABR 25/2

Die Gefährdungsbeurteilung ist das maßgebende Instrument, um arbeitsbedingte Gefährdungen zu ermitteln. Zu einer Gefährdungsbeurteilung sind alle Arbeitgeber:innen, unabhängig von der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer:innen und damit auch Kleinstbetriebe, verpflichtet. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften wie §§ 5 und 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) konkretisieren. Dazu gehört auch die Mitbestimmung des Betriebsrates bei Regelungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung und der Ableitung von Maßnahmen aus einer durchgeführten Gefährdungsbeurteilung, welches grundsätzlich auch Vorgaben zur Personalbemessung umfassen kann. Welche Schutzmaßnahmen für die betroffenen Arbeitnehmer:innen geeignet und angemessen sind, lässt sich erst bestimmen, wenn von der Arbeit für die Beschäftigten ausgehende Gefährdungen im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 ArbSchG durchzuführenden Gefährdungsbeurteilung ermittelt wurden. Je genauer und wirklichkeitsnäher solche Gefährdungen im Betrieb anhand der jeweiligen Gefahrenquellen ermittelt und beurteilt werden, umso gezielter können konkrete Maßnahmen getroffen werden. Das BAG hat am 17.12.2021 unter dem Aktenzeichen 1 ABR 25/20 eine (weitere) interessante Entscheidung zu den Fragen der Mitbestimmung im Zusammenhang mit der Gefährdungsbeurteilung nach § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG getroffen, die aufzeigt, was bei der Regelung der Umsetzung einer Gefährdungsbeurteilung in einer Betriebsvereinbarung sowie der Ableitung von Maßnahmen aus einer durchgeführten Gefährdungsbeurteilung von den Betriebsparteien und insbesondere von einer Einigungsstelle zu beachten ist.  Die Betriebsparteien stritten um die Wirksamkeit eines (Teil-) Spruches der Einigungsstelle zur Personalbemessung in einem Krankenhaus im Rahmen eines 8 Jahre dauernden Einigungsstellenverfahrens. Die Arbeitgeberin hatte den Spruch der Einigungsstelle aus dem Jahr 2018 angefochten. Das Bundesarbeitsgericht gab der Arbeitgeberin Recht, da der angefochtene Spruch mangels eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 1 ArbSchG – im konkreten Fall – unwirksam sei. 

Praxistipp 1: Regelungsgegenstand der Einigungsstelle exakt festlegen 

Auch in der nun ergangenen Entscheidung des BAG aus Dezember 2021 problematisiert das Gericht die Festlegung des Regelungsgegenstandes der Einigungsstelle. Bereits in vorangegangenen Entscheidungen hatte es festgestellt, dass ein nicht ausreichend bestimmter Regelungsauftrag nicht geeignet sei, der Einigungsstelle die erforderliche Spruchkompetenz zu vermitteln. Ein solcher Mangel habe die Unwirksamkeit des gesamten Spruchs zur Folge. Im vorliegenden vom BAG entschiedenen Fall ließ das Gericht zwar letztlich offen, ob der (Teil-) Spruch der Einigungsstelle bereits deshalb unwirksam sei, weil es wegen nicht ausreichend bestimmtem Regelungsauftrags tatsächlich an der Spruchkompetenz der Einigungsstelle gefehlt habe. Es muss den Betriebsparteien aber trotz allem und gerade im Rahmen der Mitbestimmung zur Gefährdungsbeurteilung nach § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 5 ArbSchG und § 3 ArbSchG empfohlen werden, den Regelungsgegenstand bereits zu Beginn der Verhandlungen in der Einigungsstelle einvernehmlich so konkret und nachvollziehbar dokumentiert festzulegen, dass ein Zweifel in Bezug auf die Spruchkompetenz der Einigungsstelle gar nicht erst entstehen kann, um eine Anfechtbarkeit zu verhindern.

Praxistipp 2: Keine gleichzeitige Einigungsstelle zur Ausgestaltung des Verfahrens zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung und zu gegebenenfalls erforderlichen Schutzmaßnahmen 

Ein weiteres Mal wies das BAG darauf hin, dass sich der Einigungs- bzw.  Regelungsgegenstand bei der Errichtung einer Einigungsstelle nicht sowohl auf die Ausgestaltung des Verfahrens zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung als auch – im Vorgriff – schon auf gegebenenfalls erforderliche Schutzmaßnahmen beziehen kann, welches im vorliegenden Fall kaum auseinandergehalten werden konnte. Es sei, so das BAG, im ersten Schritt stets eine Betriebsvereinbarung zur Regelung der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung nach § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 5 ArbSchG zu schließen und bei mangelnder Einigung der Betriebsparteien eine Einigungsstelle allein zu diesem Thema durchzuführen. Erst in einem zweiten Schritt könne eine Einigungsstelle zur Ableitung von Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes gemäß § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 ArbSchG nach durchgeführter Gefährdungsbeurteilung eingesetzt werden.

Das höchste deutsche Arbeitsgericht wird sehr konkret, wenn es ausführt, was Inhalt einer Betriebsvereinbarung nach § 87 Absatz 1 Ziffer 7 BetrVG i.V.m. § 5 ArbSchG zur Ausgestaltung des Verfahrens zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung und damit ggf. auch eines Spruches der Einigungsstelle hierzu sein kann. Nach Auffassung des BAG ist zu regeln,

  • inwieweit die Arbeitsbedingungen mehrerer Beschäftigter gleichartig sind und deshalb die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreicht (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG),
  • mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer  Gefährdung – also ihre Schwere und das Risiko ihrer Realisierung -, die grundsätzliche Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen und die Dringlichkeit eines möglichen Handlungsbedarfs festgestellt werden sollen,
  • die abstrakten Vorgaben, in welchen zeitlichen Abständen die Gefährdungsbeurteilung erneut durchzuführen ist,
  • auf welche Art und Weise die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung i.S.v. § 5 Abs. 1 ArbSchG dokumentiert werden sollen,
  • zeitliche und ggf. methodische Vorgaben für die Durchführung der Wirksamkeitskontrolle.

Kann der Gefährdung mittels unterschiedlicher Schutzmaßnahmen begegnet werden, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 ArbSchG bei der Entscheidung, welche der möglichen Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Einer Einigungsstelle kann im Rahmen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG aber erst nach durchgeführter Gefährdungsbeurteilung – auf Grundlage einer Einigung der Betriebsparteien über Methodik und Ablauf mit den oben genannten Inhalten – der Auftrag zur Regelung erforderlicher Schutzmaßnahmen im Sinne von § 3 Abs.  1 ArbSchG sowie deren Wirksamkeitskontrolle im Sinne von § 3 Abs.  2 ArbSchG übertragen werden. Ein mithilfe des Einigungsstellenverfahrens zu lösender, gegenwärtiger Konflikt der Betriebsparteien kann also erst dann auftreten, wenn Verhandlungen der Betriebsparteien über abzuleitende Schutzmaßnahmen – außerhalb der Einigungsstelle – gescheitert sind. Die beiden Regelungsgegenstände nach § 87 Absatz 1 Ziffer 7 BetrVG i.V.m. § 5 ArbSchG und nach § 87 Absatz 1 Ziffer 7 BetrVG i.V.m. § 3 ArbSchG müssen daher sorgsam auseinandergehalten werden.

Praxistipp 3: Sachverständige können von der Einigungsstelle nicht damit beauftragt werden, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen

Das BAG führt aus, Grund und Ausmaß von Gefährdungen der Arbeitnehmer:innen durch Arbeit könnten nicht durch die Einigungsstelle geklärt werden. Daher sei es auch nicht ihre Aufgabe, die Beurteilung, ob Gefährdungen vorliegen, selbst vorzunehmen oder diese durch Hinzuziehung von Sachverständigen zu ermitteln.

Die Einigungsstelle könne, so das BAG, allerdings Sachverständige hinzuziehen, um sich zu den in Betracht kommenden Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen i.S.v. § 5 Abs. 1 ArbSchG sachkundig zu machen. Gleiches gilt, soweit die Einigungsstelle Sachverstand für die Beurteilung benötigt, welche Schutzmaßnahmen angesichts der unstreitig feststehenden oder im Sinne von § 5 Abs. 1 ArbSchG ermittelten Gefährdungen, ihrer Schwere und des Risikos einer Schadensrealisierung infrage kommen.

Bei der Beauftragung eines Sachverständigen durch die Einigungsstelle, die sich mit den Themen der Gefährdungsbeurteilung beschäftigt, sollte demnach sorgfältig darauf geachtet und dokumentiert werden, zu welcher konkreten Fragestellung ein beauftragter Sachverständiger sich äußern soll und darauf, dass er nicht Gefährdungen im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens ermittelt, sondern sich allenfalls z.B. zu Methodiken der Gefährdungsbeurteilung oder zur Frage der Auswahl von bestimmten Schutzmaßnahmen äußert.

Praxistipp 4: Grundsätzlich ist die möglichst zügige Ableitung von Maßnahmen nach Durchführung der Gefährdungsbeurteilung zu empfehlen

Die erste – noch außerhalb der Einigungsstelle – mittels Fragebogenerhebung durchgeführte Gefährdungsbeurteilung erfolgte im vom BAG entschiedenen Fall im Jahr 2009. Die Einigungsstelle trat im Juli 2010 zusammen und beauftragte im Jahr 2014, 2016 und 2017 insgesamt drei weitere Sachverständige mit der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung im laufenden Einigungsstellenverfahren, welches, wie oben gezeigt, nach Auffassung des BAG unzulässig war. Der nach 30 Sitzungen der Einigungsstelle im Jahr 2018 gefasste (Teil-) Spruch der Einigungsstelle zur Personalbemessung hätte mithin allein die – außerhalb der Einigungsstelle – erhobenen Daten aus 2009 zu Grunde legen dürfen. Dem aber stand nach Meinung des BAG nun entgegen, dass die im Jahr 2009 durchgeführte Erhebung keine taugliche Grundlage mehr für eine Annahme von Gefährdungen im Jahr 2018 darstellte. Die Ergebnisse einer Gefährdungsbeurteilung unterliegen mithin offenbar einem gewissen „Verfallsdatum“, so dass den Betriebsparteien zu raten ist, eine entsprechende Einigungsstelle möglichst zügig abzuschließen, um einer Änderung der Gefährdungslage aufgrund der Dynamik von Arbeitsprozessen und der Weiterentwicklung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse und damit letztlich dem zeitlichen „Verfall“ des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 1 ArbSchG entgegenzuwirken.

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Ute Kahl – CREMON Rechtsanwälte

Fachanwältin für Arbeitsrecht

Joachim Blau

Rechtsanwalt,
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt Dr. Joachim Blau studierte in Marburg und Gießen. Er promovierte 1980 auf dem Gebiet des Verfassungsrechts. Seit 1982 ist er als Rechtsanwalt zugelassen, seit 1984 Mitglied der Sozietät und Partner.

Dr. Blau ist vornehmlich tätig auf den Gebieten des individuellen Arbeitsrechts, des Betriebs­verfassungsrechts, des Tarifrechts, des öffentlichen Dienstrechts/­Beamtenrechts (einschließlich Disziplinarrecht) und Personal­vertretungs­rechts.

Er vertritt die Arbeits­vertragsparteien in allen individualrechtlichen Streitigkeiten und ist tätig für eine Mehrzahl auch größerer Betriebsräte und Personalräte, die er regelmäßig in betriebs­verfassungs­rechtlichen und personal­­vertretungs­rechtlichen Einigungsstellen vertritt.

Er ist erfahren in umfangreichen Interessenausgleichs- und Sozialplan­verfahren. In seiner Tätigkeit für Gewerkschaften hat er als rechtlicher Berater an Tarifverhandlungen teilgenommen. Er verfügt über besondere Kenntnisse im Recht/Tarifrecht des öffentlichen Dienstes und des Krankenhaus­wesens.

Rechtsanwalt Dr. Blau war über 10 Jahre Mitglied des Vorstandes der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer und ist gegenwärtig Mitglied des Anwalts­gerichtshofes der Freien und Hansestadt Hamburg.

Tätigkeits­schwerpunkte:

Individualarbeitsrecht und kollektives Arbeitsrecht

Ausbildung und beruflicher Werdegang:

  • Studium an den Universitäten Marburg und Gießen 1972 – 1977
  • Promotion 1980
  • Referendariat 1979 – 1982 in Hamburg
  • Zulassung als Rechtsanwalt 1982